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Lorz Schüßler – Der Retter von Hildburghausen

Schüssler-Umschlag

Titelbild: Sebastian Vrancx (1573–1647),
Soldaten plündern einen Bauernhof
während des Dreißigjährigen Krieges, 1620,
Öl auf Holz, Deutsches Historisches Museum, Berlin,
© DHM / Bridgeman Images

Neuerscheinung

Friedrich Sack

Lorz Schüßler

Der Retter von Hildburghausen

Ein Roman aus Franken in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Herausgegeben von Hans-Jürgen Salier und Ines Schwamm

In den deutschen Landen tobt unbarmherzig der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648). Söldner plündern und verwüsten ganze Landstriche. Die Menschen in den Städten und Dörfern leiden unter den Gräueltaten der brutalen Soldateska. Auch der Stadt Hildburghausen droht größte Gefahr, als im Jahre 1632 die kaiserlichen Truppen gegen die mit Schweden Verbündeten vorrücken. Ratsherr Lorz Schüßler († 1633), Stadtfähnrich und Tuchwebermeister, stand selbst einst im Dienst der Kaiserlichen. Seinem Geschick und dem puren Zufall ist die Rettung der Stadt Hildburghausen zu verdanken.

Friedrich Sack schrieb diesen Roman zum Hildburghäuser Stadtjubiläum 1924. Von dem damals gedruckten, aber nicht verbreiteten Buch hat sich nur ein Exemplar erhalten. Beinahe wäre diese kenntnisreiche, aufregende, herzbewegende und spannende Geschichte versunken.

ISBN 978-3-943539-65-3
Softcover 12 × 19 cm
258 Seiten
1. Auflage 2016
Preis: EUR 13,90

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Leipzig Tel. 0341 / 306 75 60
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Leseprobe 1. Kapitel:

Der Schuss zerriss jäh die Mittagsstille des sonnigen Septembertages. Der Nachhall rollte an der Stadtmauer hin und zerbrach sich an dem zerfallenen Gemäuer der Kapelle Unserer Lieben Frauen auf dem Baumgarten auf der Straße in Richtung Eisfeld. Der Schütze stand unweit der Werra in wild aufgeschossenem Birken- und Erlengestrüpp. Noch sandte sein Handrohr einen dünnen Rauchfaden gegen den blauen Himmel. Leicht beugte sich der Mann vor, als wolle er der Kugel nachschauen. Im Zielpunkt seines Blicks lag auf dem grünen Rasen ein Kroat, wälzte sich von einer Seite auf die andere, schlug ein paarmal krampfhaft mit den Armen um sich und lag dann still. In einiger Entfernung brach der Genosse des Gefallenen in eiliger Flucht durch das Buschwerk, bald sich duckend, bald springend und laufend und verstörte Blicke rückwärts sendend. Nach einer Weile war er verschwunden.
„Hundeblut, verdammtes!“, knurrte der Schütze hinter ihm her. Ein böses Grinsen strich über sein zerfurchtes Gesicht; er schulterte seine Muskete und ging langsam, müde, gleichgültig auf sein Opfer zu. Der da lag, war ein wüster abgerissener Geselle. Das Einzige, was tadellos an seiner Bekleidung war, waren seine neuen hohen gelben Stiefel. Er mochte sie wohl erst vor kurzem erbeutet haben, so wenig standen sie im Einklang mit seinem abgenutzten, zerschlissenen, löcherigen und schmutzigen Gewand. Mit einiger Neugier und mit so viel Nachdenken, als Ottokar Zelenka, der Flurschütz des Städtleins Hildburghausen in der fränkischen Pflege Coburg, aufbringen konnte, betrachtete der den Toten. Einen kurzen Augenblick zuckte es wie eine Erinnerung in ihm auf, dass er selber vor noch nicht langer Zeit nicht gerade bedeutend von jenem Verschiedenen gewesen war. Aber die Spur einer Gemütsregung war rasch und vorübergehend. Wenn er, der heimatlose Böhme, ein Fleckchen gefunden hatte, wo er in Ruhe sein nahendes Alter erwarten konnte, wenn er jetzt Amt und Brot und Unterschlupf hatte, so fiel es ihm leicht, mit dem fertig zu werden, was hinter ihm lag. Konnte er doch dazu, was für ihn viel bedeutete, den ganzen Tag in freier Luft durch Wald und Feld streifen und seinem Hang zur Ungebundenheit, soweit es ein gestrenges Ratskollegium erlaubte, nachgehen. Dass er den Kroaten da niedergelegt hatte, gehörte seiner Meinung nach mit zu seinem Handwerk. Er nahm dem Toten Gewehr und Messer ab, leerte ihm kaltblütig die Taschen, vergaß auch nicht, ihm die Stiefel auszuziehen und schleifte die Leiche dem Fluss zu. Langsam rollte sie vom Ufer ins Wasser, nachdem der Flurschütz mit einem Fußstoß diese Bewegung hervorgerufen, und verschwand in der Strömung. Dem zweiten Strolch nachzulaufen, wäre aussichtslos gewesen. So knüpfte Zelenka seine Ziege vom Pfahl los, wo sie geweidet hatte, und führte sie am Strick der Stadt zu. Widerwillig trottete die Geiß hinter ihm her, dumm in die Welt glotzend. Man konnte freilich von ihr nicht verlangen einzusehen, dass sie eben ein Menschenleben gekostet hat.
Als sich der Flurschütz dem Oberen Tor näherte, ließ er die Stiefel des Kroaten aus der Hand gleiten, so dass sie hinter einen Busch fielen; seine Miene wurde gleichzeitig demütig und unterwürfig. Er nahm den breitrandigen Filzhut vom Haupt und ließ sich die Sonne auf den blanken Schädel scheinen. Aus dem Tor kam ihm der Meister Lorenz Schüßler entgegen, als Ratsherr sein Vorgesetzter.
„Es ist ein Schuss gefallen, Böhm. Bist du das gewesen?“ Barsch und herrisch klang die Frage, doch hielt der Flurschütz, ohne zu blinzeln, den Blick des Gestrengen aus.
„Meine Heppel, Herr!“, erwiderte er in klagendem Ton, „zwei Kroaten, Pan Kapitano. Sie wollten ihr gerade an den Hals. Den einen habe ich mit Kraut und Lot erledigt, der andere ist über den Läusberg davon.“
„Zwei Kroaten. Da sind noch mehr von der Art nicht weit. Es hat also seine Richtigkeit, dass Isolani in die Länder des Herzogs eingebrochen ist. – Aber, weißt du, was du getan hast, Kerl? Das ganze Wespennest hast du uns auf den Hals geladen. Eine hirnverbrannte Dummheit übrigens, den andern Spitzbuben laufen zu lassen! Wo hast du den gelassen, dem du das Halunkenleben ausgeblasen hast?“
„Der schwimmt in der Werra.“
„Was weißt du noch von ihm? Meine, wirst doch seinen Kadaver auf Herz und Nieren geprüft haben?“
„Wohl, habe was bei ihm gefunden.“
„Ein paar neue Stiefel! Ein andermal musst du fixer sein, Otto, wenn du etwas verschwinden lassen willst. Nimm sie nachher nur ruhig auf und trag‘ sie heim.“
Zelenka zog eine Grimasse. Dann öffnete er seinen zahnlückigen Mund wieder: „Noch was mehr“, und krabbelte in seiner Tasche.
„Nachher! Brings in meine Wohnung. Wir müssen eine Niederschrift machen. Von Amts wegen. – Übrigens“, der Ratsherr, der sich schon halb zum Gehen gewandt hatte, drehte den Kopf noch einmal nach dem Flurschützen hin, „ich bin dein Kapitano nicht. Ich will das nicht mehr hören. Vergangene Zeiten. Je weniger du mich daran erinnerst, umso besser. Weiß ich doch eigentlich wahrlich nicht, welcher Teufel mich geritten hat, dich als dauerndes Momento mit hierher zu schleppen und hier zu behalten.“
Mürrisch ging er nach der Stadt zurück. Zelenka gab der Ziege einen Ruck mit dem Seil und folgte dem Ratsherrn in einer achtungsvollen Entfernung.
Der Ratsherr und Tuchmeister Lorenz Schüßler bewohnte ein stattliches Haus am Oberen Tor. Geschlechter von Schüßlern hatten dort schon gehaust. Trotzig und selbstbewusst, wie sie gewesen, reckte sich das Gebäude auf. Die Schüßler schienen von jeher mehr als bloß Kleinbürger einer Landstadt. Es ging die Überlieferung, sie seien adliger Herkunft, und ein Ahne habe einst das Amt eines Erbküchenmeisters am Hofe eines der alten Kaiser begleitet, und daraus wollte man den Familiennamen ableiten. Magister Klemens Faber von der großen Schule hatte lange Zeit dieser Sage nachgeforscht und das Ergebnis seiner Untersuchungen in einem lateinischen Traktat niedergelegt. Meister Christian Schüßler, der Großvater, des jetzigen Ratsherrn, hatte ihm das in seinen Worten und mit einer stattlichen Verehrung gedankt, das Schriftstück dauerhaft in Leder binden lassen und es in eine Lade versenkt, wo es mit anderen Familienschätzen ruhte. Das dünkte ihm gut und erbaulich, aber der praktische Mann vertraute mehr dem eigenen Wert und der persönlichen Tüchtigkeit als nebelhaften Geschichten aus alter Zeit, wenngleich er es, etwa an friedlichen Sonntagnachmittagen, angenehm empfand, dass seine Mitbürger von den Forschungen des gelehrten Herrn wussten und die alten Geschichten einen gewissen Nimbus um ihn und sein Haus verbreiteten. Das Gebäude am Oberen Tor behauptete seinen Vorrang vor den niedrigeren Nachbarhäusern auch dadurch, dass es ein Untergeschoss aus steinernen Quadern hatte und dass es mehrere Schuh in die Straße vorgerückt stand. Gemildert wurde diese Würde in etwas durch die kunstvoll und freundlich geschnitzten und bemalten Balken und nicht zuletzt auch durch den doppelsinnigen Vers, den man – der Verstehende schmunzelnd – an dem oberen Schwellbalken in goldener Schrift las:

Gott gebe allen, die mich kennen,
Zehnmal mehr, als sie mir gönnen.

Lorenz Schüßler ging durch das breit gewölbte Tor, das rechts und links zwei steinerne Sitze für geruhsame Abendstunden aufwies. Schon lange waren sie nicht mehr in Benutzung. Als Kind hatte Lorz hier gesessen, dann war die große Unruhe in das Reich gekommen, er selbst war draußen in der Fremde gewesen, und nach der Rückkehr hatte er weder Sinn noch Muße für Feierstunden dieser Art. Unrast lag überdies den Schüßlern im Blute; auch seine Vorfahren hatten weniger Zeit als andere Bürger auf den Steinplätzen neben dem Tor zugebracht. Daran dachte jetzt Lorenz, als er den breiten und geräumigen Hausehrn durchmaß, die Treppe hinan schritt und oben die Tür zur Wohnstube öffnete. Wohl war es ihm gelungen, das väterliche Geschäft wieder leidlich in Gang zu bringen, soweit das in den unsicheren Zeiten möglich war, wohl hatte er sich auch allmählich bei seinen Mitbürgern durchgesetzt, nachdem er Zweifelsucht, Spott und Misstrauen bei ihnen überwunden, wohl war ihm auch schließlich als Glied einer der angesehensten Familien der Stadt Sitz und Stimme im Rat zuteil geworden, aber im Innern hatte er sich noch nicht zu der Ruhe eines behäbigen Bürgers durchzuringen vermocht, und, wie er sich kannte, würde das auch nie der Fall werden. Gewiss hatte er seine Partei und seinen Anhang in der Stadt, aber er liebte sie nicht. Denn darüber war er sich klar: Was sie in ihm suchten, das war etwas ganz anderes, als wozu er Lust und Neigung hatte. Sein Anhang war die Partei der Unzufriedenen und Neuerungssüchtigen. Freilich waren unter ihnen, unter dem unklaren Gemisch von Narren, Nörglern und Fantasten, auch die Feuerköpfe, die Leute von Mut und Entschlossenheit, und um ihretwillen musste man sich mit dem anderen Schwarm abfinden. Lorenz Schüßler wurde es oft zum Vorwurf gemacht, dass er sich zum Fürsprecher aller vorwitzigen und unbotmäßigen Leute mache, aber er konnte sich nimmer zu der Überzeugung bekehren lassen, dass in der Verwaltung der Stadt und in allen städtischen Angelegenheiten alles so bleiben müsse wie bisher, nur weil es schon zu Großvaters und Urgroßvaters Zeiten so gewesen war. Um das zu begreifen, dazu hatte er zu viel von der Welt gesehen, sein Blick war weit über den heimischen Kirchturm hinaus gegangen und hatte größere Gesichtspunkte erfasst, als sie in Hildburghausen gang und gäbe waren. Er war auch nicht willens, mit seinen Erfahrungen und Überzeugungen hinterm Berge zu halten, auch nicht dem Bürgermeister Waltz gegenüber. Weder Knüppelschläge noch Nadelstiche konnten ihn davon abbringen. Mit beiden hatte man es seither weidlich gegen ihn versucht.
Unter solchen Gedanken schritt Lorenz Schüßler in sein Gemach. Entschlossen war er nach wie vor, und hart setzte er die Zähne aufeinander. Doch schwand das grimme Lächeln bald wieder und machte einem verdrossenen Ausdruck Platz. Denn Schüßler war in die Stube getreten und sah gerade mit dem ersten Blick, wie die Sonne helle Lichter auf das Bild einer jungen Frau an der Wand warf. Unter dem brennenden Strahl schimmerte das blonde Haar des Konterfeis genauso wie es das in Wirklichkeit tat, und diese Verstellung quälte den Eintretenden. Einen raschen Schritt tat er auf das Bild zu, nahm es von der Wand und schob es hinter einen großen eichenen Schrank. Sein Haus war leer. Frau Elisabeth Schüßler war seit einigen Tagen mit den beiden Kindern zu ihrem Bruder Michael Kob auf den Häfenmarkt gezogen. In früheren Zeiten hätte ein solches Vorkommnis größtes Ärgernis erregt, aber die Sitten waren durch die lange Kriegszeit schon überall locker geworden und wenn auch der Ehezwist im Hause Schüßler an den Schenktischen, in den Kammern und Gesindestuben gehörig durchgehechelt wurde, dem äußeren Ansehen Schüßlers hatte die Tatsache nicht viel geschadet. Sein Gewerbe, die von seinem Vater ererbte Tuchweberei, war er schon vorher gewohnt gewesen, alleine zu versehen und die jetzt so wenigen Gesellen in Zucht zu halten, und für den Haushalt sorgte die alte Anne, ein Erbstück der Familie.
Als Schüßler das Bild weggestellt hatte, knurrte er noch einiges in den braunen Spitzbart, und die Farbe seines Gesichtes wurde um einen Ton röter. Der Ratsherr ließ sich auf die Eichenbank im Fensterwinkel nieder, rief nach Anne, ließ sich Brot und Wurst bringen und verzehrte sein Abendmahl in dieser wenig anspruchsvollen Weise. Dann rückte er sich den Tisch näher heran und griff unter die Bank. Dort stand ein Zinnkrug mit Frankenwein bereit, den der Einsame mit Wucht auf den Tisch setzte. Er holte sich aus dem Schrank ein venezianisches Spitzglas her und schenkte sich ein. Gut saß es sich so in der Spätnachmittagssonne auf der Bank, während der goldig klare Wein, drüben am Main gewachsen, in dem seltenen und kostbaren Beutestück funkelte. Heiter aber wurde dem allein Zechenden keineswegs davon.
Wie aus dem Wein und aus dem Glas die Erinnerungen aufstiegen! Ja, wie ehedem mit guten Gesellen über die Heide reiten! Wegwerfen diesen ganzen muffigen Plunder von Spießbürgerlichkeit, diese schäbig feilschende, zeternde Gesellschaft hinter sich lassen und wieder ein Ross zwischen die Schenkel nehmen, sich Degen und Pistolen von der Wand da drüben herunterlangen! Lorz Schüßler richtete sich vom Tische auf. Stattlich und stark war er, in der Blüte seiner Jahre. Nicht hatte er sich vom Alltäglichen unterkriegen lassen. Kühn geschnitten und verwegen war immer noch das Antlitz. Dazu hatte er den Schnitt seiner Kleidung bald kriegerisch gelassen. Nur das Faustrohr in die Hand und den wohlverwahrten Degen umgeschnallt, und er konnte in jedem Heerhaufen wieder mitreiten wie einst. Konnte er? Mit der Hand fuhr er nach dem Herzen und sank auf die Bank zurück. Es war, als höre er aufmerksam in sich hinein.
Es klopfte an die Tür, nachdem draußen auf der Treppe schwere Schritte gepoltert. Auf Schüßlers Geheiß zum Eintreten schob sich geduckt der Flurschütz Otto Zelenka ins Zimmer. Schüßler stand auf, schritt ihm entgegen und packte ihn vorn am Wams mit so hartem und heftigem Griff, dass der alte Landsknecht in eine Verlegenheit verfiel und etwas aus der Fassung geriet. Er sah den Ratsherrn verwundert an.
„Komm her, Kamerad, und trink, alte Kriegsgurgel! War schließlich doch nicht das schlechteste Stück, dass ich dich auf der Heimkehr damals im Graben auflas, so ein großer Halunke du auch gewesen sein mochtest. Dein Schuss draußen vor dem Tor hat in mir alle Geister aufgeweckt, nur dass ich noch nicht weiß, ob es gute oder böse sind. Was meinst du wohl dazu, wenn wir beide wieder reiten würden?“ Und Lorenz Schüßler nahm von der Wand die Pistole und den Degen und gürtete sich. Der Flurschütz machte zu diesen Zurüstungen eine hilflose Gebärde.
„Heute und alle Tage, Kapitano“, druckste er, wenn … ich nur könnte. Bin ich doch ganz der Eure und schulde Euch Leben und Brot. Aber mich hat’s gepackt. Der alte Schuss von Wiesloch sitzt noch im Knie, und jetzt bin ich froh, wenn es mir möglich ist, am Tag die Gemarkung zu durchstreifen. Gestern erst wieder im Pfaffengrund …“
„So bleib‘ halt daheim, alter Kracher und melk‘ deine Geiß! – Doch genug davon. War nur eine Idee.“ Und er legte die Waffen auf den Tisch. „Was sollte ich auch mit dir? – Also, um auf das zu kommen, was dich hierher geführt. Du hast also heute den Kroaten abgetan. Was war mit dem Kerl?“
„Ein Lump, Meister Schüßler, wie alle seinesgleichen. Vielleicht wollte er in die Stadt, um einen Auftrag auszurichten. Unterwegs stieß er nebst seinem Kumpan auf meine Geiß und wollte sie als Beute nebenbei mitnehmen. In seiner Tasche fand ich das da.“
Der Flurschütz legt auf den Tisch ein zusammengefaltetes Schreiben, zerknittert und wenig sauber. Es trug die Aufschrift: „Seiner Gestrengen dem wohlehrbaren Ratsherrn und Meister Laurentius Schüßler zu Hilperhausen.“ Die Hand einer Dame hatte unzweifelhaft die Feder geführt. Mit Befremden blickte Lorenz Schüßler auf den Brief, der aus so eine so absonderliche Weise an ihn gelangt war und wog ihn zweifelnd in der Hand.
„Wird sich kein Briefbote wieder nach unserer Stadt verirren, Zelenka“, sagte er, um über seine Verwirrung hinwegzukommen, „wenn sie die Kunde weiter trägt, wie man hier mit deiner Muskete empfangen wird.“ Dann, mit einem plötzlichen Entschluss, riss er den Brief auf und starrte auf den beschriebenen Bogen. Als er zuerst nach der Unterschrift blickte, kam es den großen und starken Mann wie ein Zittern an. Rot flog es ihm übers Gesicht, wieder wie vorhin fuhr die Hand nach dem Herzen und ein seltsames, wildes, unheimliches Leuchten war in seinen Augen. Der Flurschütz beobachtete ihn lauernd, und keines der Zeichen der Aufregung an den Ratsherrn entging seinem spähenden Blick. Lorz Schüßler winkte dem Manne wortlos zu, sich zu entfernen. Doch als dieser eben zur Tür hinausgehen wollte, hielt ihn Schüßler mit einem Zuruf auf. Er musste sich stark räuspern, ehe ihm die Worte kamen: „Was der Kroat da bei sich gehabt hat, das geht keinem weiter etwas an, verstehst du? Keinen weiter als mich. Du weißt nichts von diesem Brief. Der Kroat kam nur auf Partei vor die Stadt und wurde dabei ertappt, als er deine Ziege stehlen wollte. Den Brief mag er ja übrigens auch gestohlen oder gefunden haben. Vielleicht wollte er sich ein Trinkgeld verdienen oder ihn als Vorwand zum Spionieren benutzen. Ich werde selber darüber an den Rat berichten.“
Der entlassenden Handbewegung leistete der Flurschütz schleunigst Folge. Schüssler war wieder allein. Lag der Sonnenschein nicht wie Feuer und Blut auf dem Eichenschrank? „Ich habe vorhin etwas von bösen oder guten Geistern gesagt“, murmelte der Mann vor sich hin, „wie nun, wenn das ein Fingerzeig wäre? Wenn das Schicksal mir winkte?“
Dreimal schritt er vom Fenster nach der Tür und zurück, dann ließ er sich schwer auf der Bank nieder. Dort las er den Brief, den er vorher nur eben überflogen, noch einmal aufmerksam Wort für Wort. Jedes fiel wie ein glühender Tropfen in seine Seele. Wie trunken starrte er auf die Zeilen, aber wohl wusste er, dass das nicht von dem Becher Weines kam. Und immer wieder las er das Schreiben:

Euer Gestrengen! Oder vielmehr: Viel lieber Lorenz!
Wie ich Dich nennen soll und darf, weiß ich jetzo nicht, aber mein Herz jubelt, da sich ein zerrissener Faden wieder knüpfen kann. Dass ich Dich endlich gefunden habe! Sag, kennst Du wohl noch die Pöbbekenmühle und das Städtlein Lutter am Barrenberge? Ich weiß noch die traute Stelle, da die Berge ebenso auf uns niederschauten wie jetzt hier, wo das Kriegsgewitter mit seinem letzten Donnergrollen noch in der Luft lag und wo ein Rittmeister, den ich immer noch nur zu gut kenne, einen Sturm gewagt und obgesiegt hatte. Schöne, glückliche Tage, Lorz! Die einzigen meines Lebens. Was die Jahre auch dazwischen legten, das ist alles, alles hinweggewischt, denn jetzt ist mir der Himmel endlich einmal günstig gewesen. Nur wenige Wegstunden trennen mich von Dir. Du wirst wohl wissen, dass der Generalwachtmeister Graf Isolani in Coburg steht, ingleichen auch Seine Fürstliche Durchlaucht der Herzog von Friedland. Als mich mein Bruder damals hinweggebracht, als ich mich von Dir trennen musste, da habe ich nachmalen mancherlei Unheil und Leid erfahren. Mein liebes Brüderlein ist einen ehrlichen Reitertod gestorben, und ich war vorher schon genötigt, unser Haus in Braunschweig zu verkaufen. Heimatlos bin ich geworden. Doch wer hat jetzt überhaupt noch eine Heimat? Man muss sie in sich selber tragen. Ich musste mir ein neues Leben erwählen und gehöre jetzt den Vielen, deren Heim und Bleibestätte das Leindach eines Wagens oder ein Pferderücken ist. Da und dort hatte ich eine Stätte gefunden. Zuzeiten auch war ich frei wie der Vogel in der Luft. Habe doch aber immer gewusst, was ich mir schuldig war. Seit Jahresfrist reise ich hinter dem Heer des Friedländers her. Die Gemahlin des Generals Isolani, der ich in meiner Bedrängnis einmal bittweis genahet war, hat mich zu sich genommen, und nun bin ich nichts weniger und nichts mehr als ihre Hofdame oder ihre Zofe, wie Du es nennen willst. Seit acht Tagen sind wir aus Bayern hier in Franken eingezogen und seitdem habe ich wieder ein Dach in einem Koburger Bürgerhaus über mir.
In dieser Stadt nun fand ich endlich, wonach ich die ganze Zeit meines Wanderlebens gesucht. Beim Durchblättern von Listen über die Verwaltung der Städte in den koburgischen Landen stieß ich auf Deinen Namen. Du musstest dieser Lorenz Schüßler sein, denn Du hast mir einst selber erzählt, dass Deine Wiege zwischen diesen blauen, friedlichen Bergen gestanden. So drängte es mir die Feder in die Hand.
Mein Laurentius! Mein lieber, lieber Lorz! Wenn unsere Leute in den nächsten Tagen Dein Nest besuchen, dann komme auch ich, und dann wirst Du Dich auf einen Sattel heben und aus Deinem amtsehrbaren Schlaf aufwachen und Deine Fortune wieder da suchen, wo Du schon früher hinter ihr hergejagt bist, und ich, ich werde sie Dir finden helfen.
Was mich betrifft, so werde ich sie alsdann allerdings schon gefunden haben.

Katharina von Duwensee

Es flimmerte vor den Augen des Lesenden, ein Keuchen kam ihm tief aus der Brust. Lockende Bilder stiegen vor seinem Geiste auf. Er sah sich auf schäumendem Rosse durch die Lande reiten, und das helle Haar der feinen Frau neben ihm flatterte ihm ins Antlitz. Erfühlte den Hauch ihres Mundes an seiner Wange. Hinter ihm versanken Flurschützengeißen, die Weinpön, die Holzhändel und das ganze kleinliche Bürgergezänk. Das Buch, den großen Wald, den mochte der Bürgermeister ruhig verkaufen, wie er schon lange geplant. Was ging das alles Lorenz Schüßler noch an? Hinter ihm versanken auch die väterlichen Webstühle. Ihr Poltern und Stampfen vom Hinterhaus wandelte sich ihm zu Rossgetrabe und Kampfgetümmel und dem Lärm des Lagers. Und sein Weib? Ei, sie wollte ihn ja los sein. Und die Kinder? Der Mann am Tisch stöhnte. Auch sie musste er hinter sich lassen. Frei musste er sein, ganz frei! Für die Zukunft der Kinder war gesorgt, nichts von seinem Besitz wollte er in die Fremde nehmen. Durch Rührseligkeit durfte er sich nicht binden lassen. Er überredete sich, dass es auch in diesem Punkt kein Wanken gäbe, nicht geben dürfe. Plan um Plan wälzte sich in seinem Gehirn. Das ganze wilde kriegerische Zeitalter nahm sein unruhvolles Herz gefangen. Alle Bilder lockten nach einem Punkte hin, nach Kampf und Streit, nach Ruhm und Ehre, nach dem Aufstieg zu den höchsten Höhen, und immer war ihm zur Seite jenes Weib, das früher schon einmal in sein Leben getreten war. Lorenz Schüßler fragte heute nicht mehr, was das Schicksal von ihm wolle. Er glaubte es, begriffen zu haben und wollte ihm nicht weiter widerstehen, wenn es ihn im Windgebraus von seiner heimatlichen Stätte davonführen würde. Er fühlte den sinnbetörenden Zauber jungfrischer Wanderjahre und wusste nunmehr, dass der ihm immer in den Gliedern gelegen hatte, dass nicht Weib und Kind, nicht Gewerbe und Amt ihn hatten brechen können.
Der Wein funkelte nach dem Glas, doch es war der letzte Schimmer des Tages. Lorenz Schüßler saß, den Kopf schwer in die Hand gestützt und den bedeutungsvollen Brief vor sich haltend, als das Dämmerlicht längst dem Abenddunkel gewichen war. Ein irrer Laut zitterte ab und zu durch das Gemach: „Käthe! Käthe!“
Es klopfte wieder an die Tür. Lorenz Schüßler ernüchterte sich. „Da klopft mein Widerpart“, murmelte er, „so hat er mein ganzes bisheriges Leben lang geklopft und mir Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich möchte meinen Kopf verwetten, dass es mir auch jetzt wieder so geht.“ Mit einem bitteren Lächeln der Selbstverspottung ging er zur Tür und öffnete, den Leuchter, auf dem er inzwischen die Kerze entzündet, in der hoch erhobenen Hand.
Draußen stand der alte Ratsdiener Stubenrauch. „Wollet verzeihen, Herr Ratsherr, es ist dunkel auf der Treppe, und ich fand mich nicht gleich zurecht. Der Herr Bürgermeister schickt mich, ich soll die Herren vom Rat zu einer Sitzung heute Abend einladen.“
„Was, so spät noch?“
„Der Herr Bürgermeister in Anbetracht drohender Gefahr und wichtiger Sachen käme es auf Zeit und Stunde nicht an. Doch meine ich, Ihr, Herr Ratsherr, müsstet vor allen Dingen darum wissen, wenn das Gerücht wahr redet, das auf der Straße geht und auch seinen Weg bis ins Rathaus gefunden hat“, erlaubte sich der grauhaarige Ratsdiener einzuwenden.
„Also ist das Geschwätz wirklich schon in aller Mäuler! Dieser Böhmak ist ein Narr, dass er das Maul nicht halten konnte. Für eines von beiden, für einen Narren oder einen Schurken, der sich nur aus Verstellung ehrbar gebärdet, habe ich ihn immer gehalten. Na ja, dann freilich, wenn der Herr Bürgermeister schon Kenntnis genommen haben, dann finde ich Euren Auftrag begreiflich, Stubenrauch. Nur meine ich, man hätte einen jüngeren herumschicken können und Eurem klapprigen Gebein Ruhe gönnen sollen. Kommt her, Mann, und nehmt wenigstens einen Trunk zur Stärkung. Er ist Euch herzlich gegönnt.“
„Vielen Dank, Herr“, versetzte der Alte und versuchte, zaghaft abzuwehren, dass ihm der Ratsherr den Wein auch noch selbst in den Becher goss. Dann nahm Stubenrauch den Becher, trank aus mit der Gewohnheit früherer Jahre und mit der Gier langer Entbehrungen. Er hüstelte die Treppe hinab.
„Sagte ich es nicht, alter Lorz“, sprach Schüßler zu sich, während er seinen Hut mit der Hand abwischte und sich zum Gehen rüstete, dass mein Widerpart geklopft hat. Ist doch eigentlich ein schnurrig Wesen darum. Es ist das zwar nicht der gute alte Stubenrauch, dem eigentlich der knickerige Rat schon längst hätte das Gnadenbrot geben sollen – ich werde das dem Bürgermeister übrigens einmal unter die Nase reiben –, sondern dieser Stubenrauch war nur das Werkzeug wie schon so manch anderer. Es geht wieder einmal etwas gegen mich. Fast könnte ich es ein reizendes Spiel nennen, reizend, so wie die Katze mit der Maus spielt. Nichts, gar nichts von dem, was ich gewollt, habe ich erreicht. Bin wie der Tropfen im Strom. Habe ich denn einen Willen? Die höchsten Dinge habe ich erstrebt, die höchsten, freilich nicht immer die – saubersten, wenigstens nicht im Sinne der hausbackenen Moral, wie sie hierzulande gedeiht, aber habe ich denn je mein Ziel erreicht? Jetzt sitze ich mit diesen Krämern und Schneidern und Webern an einem Tische. Ein kurioser Patron muss das sein, was mir als Genius zur Seite geht. Kaum habe ich einmal einen kühnen Gedanken gefasst, gleich dämpft er ihn und bringt den gemeinen Alltag, die Spießbürger und ihre sogenannte Sitte dazwischen. – Und doch, sei ehrlich, Lorz“, und damit stieg er bereits die Treppe hinab, „sei ehrlich. Ist dieser Genius nicht eben so gut in dir selber wie außerhalb deiner? Wenn du etwas wolltest, etwas Großes, wie du es nennst, etwas Tolles, wie es die andern nannten, war da immer ein äußeres Hindernis? Hast du nicht widerstrebend, zähneknirschend, fäusteballend gerade das Gegenteil getan? Das Gegenteil, das du gar nicht wolltest und das noch, wie die andern sagten, eben das Rechte war?“ Damit trat Lorenz Schüßler vor die Haustür…

 

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